Samstag, 2. Dezember 2017

Alle Laufen für Steffen - unser besonderer Bahnmarathon


A, L, S. Drei Buchstaben. Und zwei Interpretationsmöglichkeiten. Einmal Amyotrophe Lateralsklerose. Eine Erkrankung die zur fortschreitenden Degeneration jener Nervenzellen führt, die alle Muskelbewegungen unserer Körper steuern. Die Krankheit endet tödlich.

Und es wird nicht genügend geforscht, da die Krankheit zu selten auftritt, als dass es sich für die Pharma-Industrie lohnen würde, Medikamente zu entwickeln, die den Verlauf zumindest stärker bremsen könnten. Ein trauriger Missstand, auf den es immer wieder hinzuweisen gilt. Wer weiß noch, dass wir uns vor üner zwei Jahren alle Kübel  mit Eiswassser über den Kopf geschüttet und hoffentlich auch etwas gespendet haben, um Forschungen in diese Richtung zu finanzieren.

Die Buchstaben stehen aber auch für die Aktion "Alle Laufen für Steffen". Steffen ist ein Läufer. Einer wie wir also. Steffen hatte nicht das Glück, dass wir alle bisher hatten und immer zu haben glauben. Steffen ist betroffen.
Seine Freunde aus dem Laufumfeld, darunter Christian Pflügler, haben diese Aktion ins Leben gerufen und ihm so auch bereits die Teilnahme beim Münster-Marathon ermöglicht.
Frank Pachura hat das hier in einem Video in Szene gesetzt. Ein Jahr zuvor war Steffen hier noch mir einer Zeit unter 3 Stunden mitgelaufen. Das macht nachdenklich.


Damit nicht genug. Am 2.12. wird Steffen 50 Jahre alt. Und zu diesem Anlass wird der ALS-Bahnmarathon ins Leben gerufen. Über Facebook erhalten auch wir eine Einladung zu dieser außergewöhnlichen Geburtstagsparty, denn es sollen möglichst viele aus der Läuferfamilie kommen und mit ihren Startgeldern Spenden sammeln. Alle Verpflegung und die Medaillen konnten aus Spenden gewonnen werden, so dass das Startgeld und weitere Spenden komplett zur Verfügung stehen. Eine tolle Sache, der auch wir uns nicht entziehen wollten. 
Also ging es am Samstag früh um 7 Uhr auf die A2 Richtung Warendorf. Vor dem Lauf gratulierten wir Steffen das erste Mal mit einem Ständchen.  Ich hatte mich ihm vorher kurz vorgestellt, mich für die Einladung und die Veranstaltung vorab bedankt und ihn begrüßt. Was sollte ich sagen?  Nichts war für mich keine Lösung. Wie fühlt sich ein Mensch, der hier im Normalfall mitgelaufen wäre, dies aber nie mehr können wird? Steffen lächelt. Ich bewundere wie er nach außen sein Schicksal meistert. Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Alle meine Gäste laufen zu sehen und es selbst nicht mehr zu können. Wieviel Akzeptanz eines Schicksals muss man sich dazu erarbeiten, um sich am Ende am Lauf der anderen wieder erfreuen zu können?
Wir starten. Die erste halbe Runde fährt Steffen als eine Art "Safety Car" vor dem Läuferfeld her, was sein Spezialrollstuhl hergibt. Keiner überholt. Dann macht er die Bahn frei für uns Läufer. Es sind viele gekommen, sicherlich so um die 100 einschließlich der Staffeln. Ein schönes Bild auf der Tartanbahn des Bundesleistungszentrums der  Bundeswehr, wo sonst Sportsoldaten für olympische oder EM/WM-Ehren trainieren. 

Die Bedingungen wären perfekt, wäre es nicht mit Temperaturen um die 0 Grad sehr kalt geworden. Ich will auf den ersten Runden gar nicht richtig warm werden, also bleibt mein Tempo zunächst alles andere als gemütlich. Runde um Runde zieht dahin, ich reiße ein Maßband aus dem Möbelhaus ab der hundertsten Runde ab, jede Runde einen Zentimeter. zugleich rufe ich laut die noch zu laufenden Runden den Zuschauern und Staffeln zu, in der Hoffnung, man möge mich korrigieren, wenn ich mich doch verzählen sollte. Laufen macht ja manchmal blöd. Und der automatischen Rundenzählanlage mit Transponder vertraue ich nicht so richtig.
Wieder ein Blick auf Steffen, der hält es in der eisigen Kälte sitzend an der Zielgerade aus. Auch das eine tolle Leistung. Denn im Gegensatz zu uns kann er sich kaum bewegen, um sich aufzuwärmen. Das relativiert immer wieder alle Probleme, die sich beim Runden laufen so auftun könnten. Er wäre froh, noch solche Probleme haben zu können. Er ist Läufer und somit sicherlich auch im Kopf unser Rundenbegleiter.
Beim Halbmarathon gönne ich mir 2 1/2 Minuten bei Tatjana am gut bestückten VP, trinke eine Cola und esse ein paar TUCs. Die zweite Hälfte möchte ich nutzen, mich mit unseren Lauffreunden ein wenig zu unterhalten. So ein Bahnmarathon gibt dazu bei jeder Überrundung Gelegenheit. Immer, wenn ich zu jemandem, den ich kenne, auflaufe, bremse ich und laufe ein wenig in seinem oder ihrem Tempo mit. Das geht allerdings nie allzu lange, denn man wird schnell kalt, wenn man sich nicht mehr genug anstrengt. Also laufe ich zwischendurch wieder mein altes Tempo.

Der Sieger geht auf seine letzte Runde, begleitet von Steffen. Unter 3 Stunden. Die beiden haben sich wohl noch vor eineinhalb Jahren Duelle bei diversen Läufen geliefert. Nun fährt Steffen die letzte Runde neben ihm. Sportsgeist und gegenseitige Achtung. Ich bin berührt.
Irgendwann habe auch ich ich die letzten 10 von 105,5 Runden vor mir. Jetzt wird es doch zäh. Aber jeder Blick auf Steffen genügt, um das Ding hier nun durch zu ziehen. Die Zeit ist am Ende unwichtig.

Es war ein schaurig schöner Tag. Schaurig, weil er uns die Endlichkeit unseres scheinbar nie endenden Lebens und unserer Gesundheit vor Augen führte. Klar und hart. Irgendwo will sich niemand in eine Situation hineindenken, die Steffen nun erleben muss. Gerade wir Läufer glauben immer im Unterbewusstsein, wir seien als Sportler irgendwie bessere Menschen, achten auf unsere Gesundheit und teilweise Ernährung unsere Ernährung. Uns passiert "so etwas" nicht.
 Doch! Doch! Doch! Ich sehe es in Gestalt von Steffen. Auch er mag so gedacht haben, noch vor relativ kurzer Zeit.
 Und doch feiert Steffen hier mit uns seinen Geburtstag. Und lächelt. Und ich habe Tränen in den Augen gehabt. Mehr als einmal unterwegs. Aber ist hier nicht auch Hoffnung? Und Freude? Und die Überzeugung, dem Leben genau das noch abzunehmen, was noch da ist und das auszukosten? Restlos.

Ich denke, dazu haben wir heute beigetragen. Es war ein fröhliches Lauffest mit guter Musik, guter Verpflegung und hoffentlich einem guten finanziellen Ergebnis. Vor allem aber ein guter Geburtstag für Steffen. Ich verabschiede mich mit Dank bei ihm und wünsche alles Gute. Und hoffe weiter, dass es mich Sportler schon nicht treffen wird. Wie Steffen.

Dieser Text ist mir nicht leicht gefallen. Wie immer lauern hier tausend Fettnäpfchen, ich hoffe, ich habe die meisten verfehlt. Aber nichts zu sagen ist auch keine Lösung. Wenn eteas schlecht oder schlichtweg unpassend oder falsch formuliert sein sollte, bitte ich um Verzeihung. Es ist meine Sicht. Nur meine. 

Carpe diem




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